ELI CORTIÑAS "Street Girls Bringing Sailors In Must Pay In Advance PART I + II"
09.09.-05.11.2011

PART I: Galerie Michael Wiesehöfer, Schönhauser Str. 8, 50968 Köln, Öffnungzeiten Di Fr 11 – 18 Uhr, Sa: 12 – 18 Uhr
PART II: HAUS IM SÜDEN, Mauritiussteinweg 74, 50676 Köln, Öffnungszeiten Di-Fr 13-18 Uhr, Sa 11- 16 Uhr


In Ihrer zweiten Einzelausstellung in der Galerie Michael Wiesehöfer zeigt Eli Cortiñas eine mehrere Medien umfassende Installation mit dem Titel Street Girls Bringing Sailors In Must Pay In Advance. Zentrale Arbeit der Ausstellung bildet die Videoinstallation Confessions with an open curtain. Von dieser als offen und fortlaufend angelegten Videoarbeit präsentiert die Künstlerin eine erste Erzählung (Confessions with an open curtain: First Tale) in der Galerie und eine zweite (Confessions with an open curtain: Mother Tale) im Haus im Süden, dessen Räumlichkeiten sie parallel zur Galerie bespielt.

Diese auf found-footage basierende Videoarbeit, beschäftigt sich, wie schon ihre vorherigen Arbeiten mit der Konstruktion weiblicher Identität, sowie mit dem Sichtbarmachen des bildhaften Details, dem Interpretieren des Speziellen einer dramaturgischen Szene und der dazu gehörigen filmischen Szenografie. Dem, was im Kontext des filmhistorisch aufgeladenen, gewissermaßen schon „besetzten“ Filmmaterials übersehen werden konnte, wird eine Bühne bereitet:

„A large part of Cortiñas’ practice revolves around the idea of challenging cinematic memory, and inventing a cinematic vocabulary anew by selecting from already existing material, painstakingly analysing scenes, stripping away narrative, and re-editing to arrive at new meanings and associations. Whether she employs existing footage or her own material, the editing process itself is of paramount importance in Cortiñas’ work. The artist approaches editing as a kind of ‘writing’, using the process not merely to re-arrange sequences and create a new cinematographic ‘choreography’ of images, but to disrupt or re-structure narrative flow, creating shifts in meaning and a kind of narrative ‘slippage’ which, on the one hand, remains true to the original material, on the other creates new shifts in emphasis and generates alternative if somewhat more fragmented narratives“ *

Paradoxerweise wird die vermeintliche Beichte als eine mit offenem Vorhang angekündigt, gegensätzlich zu der gängigen Praxis in der katholischen Kirche, auf dessen Beichtkabinen mit einer Trennwand und dem dazugehörigen Vorhang die Künstlerin referiert.

Der Vorhang gilt seit jeher als eine Figur des Anfangs, als eine Figur der Verblendung und Verhüllung. Im Barock- und bürgerlichen Theater des 18. Jahrhunderts fällt ihm dann eine eigene Macht zu, die seine Rolle aktiv werden lässt: Er kündigt nicht nur das Schauspiel an, er wird darin selbst zum Akteur, in seinen Faltungen, Bewegungen und Farbspielen zwischen Opak und Transparenz.

So wird der Vorhang auch in Cortiñas Arbeit mit seinen Eigengeräuschen, seinen mondänen Ausmaßen und seinen physischen Charakteristika zur Hauptfigur. Vor und hinter ihm die blonden Frauen, denen der Betrachter nur über die Schulter blicken kann. Cortiñas bedient sich diesem Motiv der Romantik, welches gleichzeitig zur Anonymisierung als auch zur Typisierung ihrer Frauenfiguren dient, die zu einer zu Verschmelzen scheinen. Wir blicken mit den Frauen aus dem Fenster in die Ferne, in die Vergangenheit, in die Zukunft, zelebrieren das Sehnsuchtsbild der romantischen Vorstellung von innerer Befreiung und werden eingeholt von der schnarrenden Stimme einer reifen Frau: Every woman has a career - the career of being a woman.

Cortiñas Herangehensweise bei der Inszenierung der Sehnsüchte ihrer meist weiblichen Heldinnen, die in einer Toncollage, Ausschnitte ihrer vermeintlichen Beichte Preis geben, wird von einem ästhetischen Gedanken, im Sinne eines ,atmosphärischen’ Empfindens begleitet.
Die simultan entstehenden bildkompositorischen und narrativen Exzerpte laden ein, die visuellen und inhaltlichen Ellipsen zu vervollständigen. Durch die Distanz zur gewohnten Kino-Erfahrung - die lineare Dramaturgie wird stets auf Bild- und Tonebene gebrochen – lässt Cortiñas eine völlig andere Lesart der einzelnen Motive am Betrachter vorbeiziehen. Sie entwirft eine Folie der Sehnsüchte, die sich meist als nicht realistisch entpuppen: Das Ziel als endlose Chimäre.

Auch in ihren Collagen tauchen bei Cortiñas immer wieder Anspielungen auf zu verhüllende Identität, Maskierungen des Selbst und Verschleierungen, sowie Anonymisierungen auf. Diesmal bewegt sich die Künstlerin jedoch verstärkt in den Raum und weitet die Zweidimensionalität der Collage ganz folgerichtig aus, in dem sie gefundene Alltagsobjekte neu arrangiert und konstruiert.

Dabei wird die filigrane Schönheit wie z.B. von den Kordeln hochwertiger Einkaufstaschen sichtbar, die sich mit einem Pflanzenuntersetzer paaren, ein ehemaliger Lautsprecher lehnt auf einmal ganz zart an der Wand (Anatomie des dauernd Unterschätzem I und II) und goldene Umschläge erinnern an eine Markise (Es ist Frühling und J. H. ist tot), wenn sie bei kleinsten Bewegungen mit Wehen beginnen – schlichte Opulenz, die sich mit den Interieurs der Videoarbeit atmosphärisch verbindet.



* Katerina Gregos, The Spectre Of Cinema: The Videos of Eli Cortiñas, Ausstellungstext, Brüssel, September 2010